Filmreihe
OFF TO WORK
Die Geschichte der Saisonnières und Saisonniers rekonstruiert und bezeugt derzeit eine umfassende Ausstellung im NMB Neues Museum Biel. In Kooperation mit dem Museum zeigt das Filmpodium Biel/Bienne vier selten zu sehende Filme, die anhand verschiedener Schicksale die schweren Arbeits- und Lebensbedingungen ausländischer Arbeiter beleuchten.
Am 11. März öffnet das NMB von 13.30 bis 17:00 Uhr die Türen für Führungen in etwa 15 Sprachen und einen Austausch mit Zeitzeug:innen. Gleich im Anschluss eröffnet das Filmpodium Biel/Bienne die dazugehörige Filmreihe mit einem Doppelprogramm und offeriert Apéro, Suppe und Gespräche. Die vier Filme bewähren sich als Zeugnis und Medium des Erinnerns, in einer Zeit, in der rechtskonservative Kräfte die Wiedereinführung des Saisonnierstatuts in der Schweiz ins Spiel bringen.
Einer der immigrierten Arbeiter ist Alvaro Bizzarri, der 1955 nach Biel kam, hier zunächst als Schweisser arbeitete, abends Deutschkurse besuchte, um wenig später selbst zum Deutschlehrer für Gastarbeiter zu werden. Dabei wurde er mit der Situation der hunderten Saisonniers in Biel konfrontiert und entwickelte daraus seine Filmstoffe. Das Filmpodium Biel/Bienne präsentiert seinen bekanntesten 1973 uraufgeführten Spielfilm LO STAGIONALE, der in geradlinigen Bildfolgen schildert, wie eine Notlage in einem Fremdarbeiter ungeahnte Kampfgeister weckt und ihn über sich hinauswachsen lässt. APPUNTI DEL PASSAGGIO von Maria Iorio und Raphaël Cuomo führt uns dagegen eindrucksvoll mit einer Collage aus experimentellen Bildern und gesprochenen Erinnerungen an von Migration, Diskriminierung und Xenophobie geprägte Orte und Erfahrungen italienischer Einwander:innen heran. Auch Gertrud Pinkus verknüpft in IL VALORE DELLA DONNA È IL SUO SILENZIO geschickt Bild und Ton, um den spannungsreichen Alltag einer süditalienischen Emigrantin in Frankfurt aufleben zu lassen, ohne sie und ihre Familie zu verraten. Mit charmantem Humor erzählt schliesslich INTERDIT AUX CHIENS ET AUX ITALIENS, wie der Traum von einem Neuanfang jenseits der Alpen eine Familie aus dem Piemont Anfang 1900 einem von Fremdenfeindlichkeit durchdrungenen Klima aussetzt – aber auch mit anderen Ausländern zusammenbringt. „Eine Geschichte, die mit «ich» beginnt und in «wir» übergeht“, wie Regisseur Alain Ughetto sagt.
Dieses «wir» markiert nicht nur den Titel der Ausstellung, sondern vernetzt auch die Filme des Hauptprogramms, das sich unterschiedlichsten von der Suche nach Arbeit gebahnten oder zerrissenen Lebensrouten widmet und aufruft, unseren heutigen Umgang mit Arbeitsmigration kollektiv zu reflektieren. Den Auftakt bildet die Premiere von Alice Diops preisgekröntem Dokumentarfilm NOUS, der die Vielfalt von Lebensentwürfen in den Pariser Vororten erkundet, jenseits von Drogen, Gewalt und Armut, voller Kontemplation, Träume und Widersprüche. WESTERN von Valeska Grisebach führt an die bulgarisch-griechische Grenze: deutsche Bauarbeiter sollen dort ein Wasserkraftwerk errichten und werden beim Aufeinandertreffen mit den Einheimischen zu Cowboys, gefangen in ihrer Einsamkeit und Vorstellung von Maskulinität. Der in Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnete Film DAS FRÄULEIN der Schweizerin Andrea Štaka bringt in einer Kantine in Zürich drei eigenwillige Frauen zusammen, aus einem Land, das es nicht mehr gibt – Ex-Jugoslawien. Lebenshunger und die Spuren des Krieges werfen die neu Verwurzelten aus der Bahn. Und auch für Leonid in Dmytro Sukholytkyy-Sobchuks Debut PAMFIR lockt das Ausland mit besseren Arbeitsmöglichkeiten. Zurück in seiner ukrainischen Heimat kämpft er mit Schulden, gegen Korruption - und wird zum rätselhaften Helden in einem märchenhaften Gangster-Drama. ATLANTIQUE von Mati Diop wiederum wirft einen verstörenden Blick auf die Frauen, die zurückgeblieben sind, als in einem Vorort von Dakar betrogene Arbeiter einer Baustelle das Land übers Meer verlassen. Wie ein seltsames Fieber verbreitet sich ihr Widerstand gegen Unrecht und Verrat.
Das Film-Programm führt Entwurzelte mit Heimatsuchenden zusammen, Fremde mit Einheimischen, Offenheit mit Voreingenommenheit, traumatische Erinnerungen, Lebensdurst - und die Schönheit des Verschiedenseins.
Ein Special ist die Premiere von Albert Serras preisgekröntem PACIFICTION, den die Redaktion der Filmzeitschrift Cahiers du cinéma auf Platz eins der besten Filme des Jahres 2022 wählte. Aufgrund des grossen Erfolges nimmt das Filmpodium Biel/Bienne zudem INDES GALANTES und RETURN TO DUST wieder auf. Und natürlich wird wie jedes Jahr, mit Cüpli und Suppe, gemeinsam mit dem Frauenplatz Biel der Internationalen Tag der Frau gefeiert – diesmal mit dem viel beachteten Film CALL JANE mit Elizabeth Banks und Sigourney Weaver.